Erklärung:

In der Spielzeit 2024/25 bringt das JUST des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden die Produktion „Das Tagebuch der Anne Frank“ auf die Bühne. Die vom Juni 1942 bis zum August 1944 entstandenen Aufzeichnungen der Teenagerin Anne Frank, die sich zur Zeit des Nationalsozialismus über zwei Jahre mit Ihrer jüdischen Familie in einem Amsterdamer Hinterhaus versteckt hielt und am Ende doch im Konzentrationslager Bergen-Belsen starb, wurden in 70 Sprachen übersetzt und zählen zum UNESCO Weltdokumentenerbe. Sie stehen im Zeichen unseres aktuellen Spielzeitmottos „Was ist unser Erbe?“
Was erben wir mit diesem Zeitzeugnis? Was vermittelt es uns auf sehr persönliche Art und Weise und welche Verantwortung tragen wir, dass sich Schicksale wie das beschriebene nie wieder wiederholen? Millionen von Menschen wurden zur Zeit des Nationalsozialismus auf grausamste Art und Weise ermordet. „Das Tagebuch der Anne Frank“ lässt uns anhand eines individuellen Schicksals bergreifbar werden, was der Faschismus für Millionen von Menschen bedeutete.
Das JUST erzählt die Geschichte der jungen Frau Anne Frank, die auf Grund der politischen, auf radikale Weise entschiedenen, Veränderungen der Gesellschaft, ein Leben in einem Versteck führen muss und dort zwei entscheidende Jahre des Heranwachsens verbringt. Ihr Jüdisch-Sein wird zum Politikum, dass sie sehr poetisch und berührend reflektiert. Dass sie im Wandel der Gesellschaft nicht anders agieren kann, als sich zu verstecken oder zu fliehen, zeigt uns auch die Strukturen von Privilegien auf, die auch heute existieren. Wem werden welche Möglichkeiten durch wen gegeben oder versperrt? Miep Gies, Helferin der Untergetauchten des Hinterhauses in Amsterdam, schrieb 2013 im Nachwort der Biographie „Das Mädchen Anne Frank“ von Melissa Müller: „Wie sehr, müssen wir uns bewusstmachen, hätte Anne, wie sehr hätten alle anderen Opfer, jeder auf seine Weise, zu unserer Gesellschaft beigetragen, wenn sie hätten leben dürfen.“ Es liegt auch in der Verantwortung unsere Gesellschaft jetzt, alle Menschen, jede Vielfältigkeit und alle Unterschiede zu schützen, sie zu bewahren und zu schätzen. Die Bedrohung all dessen von Rechts ist heute wieder stark wahrzunehmen. Dagegen wollen wir uns klar positionieren.
Max Czollek schreibt in seinem Essay „Gegenwartsbewältigung“ aus dem Jahr 2020:
“Aber Menschen denken merkwürdige Dinge, beispielsweise auch, dass zum Nationalsozialismus und seinen Verbrechen bereits alles gesagt worden sei.
Meiner Erfahrung nach ist dieses deutscheste aller Klagelieder bloß eine andere Version der verschwörerischen Selbstverständlichkeit, 'wir alle' hätten so viel über dieses Thema gehört, dass 'uns' die Silberlöffel schon zu den Ohren rauskämen. Dagegen möchte ich auf der Legitimität einer Perspektive beharren, die nicht von einer Überwindung des Nationalsozialismus nach 1945 ausgeht, sondern nach seinen Kontinuitäten und Konsequenzen auch für die Kunst fragt. Welche Alternativen gibt es also zur Haltung der eingeschnappten Leberwürste, die mit jeder Diskriminierungskritik auch jede Verantwortung von Literatur, Kultur und eigener Sprache für die Gegenwart von sich weisen?”
Wir wollen uns mit der Produktion „Das Tagebuch der Anne Frank“ nicht einer Versöhnung anschließen. Wir wollen erinnern und an gesellschaftliche Verantwortung appellieren.
Max Czollek sagt außerdem: „Denn Erinnerungskultur bedeutet, die Gesellschaft so einzurichten, dass die Geschichte sich nicht wiederholt. Sie bedeutet auch, dass es Räume der Untröstlichkeit braucht, in denen gilt, was selbstverständlich sein sollte: es wird nie wieder alles gut.“
Wir wünschen Ihnen ein besonderes Theatererlebnis in unserer JUST-Produktion „Das Tagebuch der Anne Frank“.

Wofür wir stehen

Als Theater sprechen wir uns gegen jede Form der Diskriminierung aus. Wir möchten für diskriminierende Strukturen und Denkweisen sensibilisieren, auch uns selbst. Gleichzeitig sind wir tief betroffen und verurteilen, wenn Geschlecht, Alter, Religion, ethnisch-kulturelle Herkunft, sexuelle Orientierung oder körperliche Konstitution herangezogen werden, um Ungleichwertigkeiten und Abwertungen zu rechtfertigen. Theater ist ein Ort der Begegnung, an dem Kennenlernen beginnen kann und Vorurteile, Ängste und Befangenheit weichen können. Wir bilden gesellschaftliche Realitäten auf künstlerische Weise ab, beobachten und kommentieren diese und gestalten sie auch aktiv mit. Gestalten Sie mit uns die Gesellschaft, in der wir leben wollen, in der niemand persönliche Ressentiments und Ausgrenzung erfahren muss, in der wir in Freiheit leben können und wir gemeinsame demokratischen Werte vertreten.