Im Ge­spräch mit Leo McFall:

Neuer General­musik­direktor

seit 2024 25:

Inter­view mit dem neuen General­musik­direktor:

Katja Leclerc - Leitende Dramaturgin für Musiktheater und Konzert - spricht zu Beginn der Spielzeit 2024 25 mit dem neuen Generalmusikdirektor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, Leo McFall.
Katja Leclerc:
Lieber Leo, ab dieser Spielzeit bist Du neuer Generalmusikdirektor am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Kurz und knapp: Mit welchen Worten beginnst Du das Gespräch mit Wiesbaden?
Leo McFall:
Pleased to meet you!
Katja Leclerc:
Welches musikalische Erbe wurde Dir mitgegeben? Von wem?
Leo McFall:
Ich begann als Kind Geige zu spielen. Mein Vater baute mir mein erstes Instrument aus einem Stück Holz. Bald wollte ich auch Klavier spielen und Bratsche. Und ich sang!
Katja Leclerc:
Woher kam die Idee, diese Instrumente zu lernen?
Leo McFall:
Ich muss jemanden im Fernsehen gesehen haben, der Klavier spielte. Allerdings wollte ich, bis ich zehn Jahre alt war, nicht Musiker werden. Es war einfach das, was ich die meiste Zeit über tat. Es ging so weit, dass meine Lehrerin in mein Zeugnis schrieb: „Ich bin irritiert davon, dass Leo mehr Interesse für Musik als für Englisch an den Tag legt.“ Darauf bin ich heute noch stolz.
Katja Leclerc:
Also wurdest Du nicht in ein musikalisches Umfeld geboren?
Leo McFall:
Mein Vater war Bildhauer.
Katja Leclerc:
Deswegen konnte er eine Geige bauen!
Leo McFall:
Ja, obwohl er eher mit Lehm arbeitete. Er wurde 1919 geboren und starb, als ich noch sehr jung war. Wir waren uns sehr nah. Er liebte es, Musik zu hören; er sah noch Richard Strauss in der Royal Albert Hall ein Konzert dirigieren, kurz nach dem Krieg. Bei uns zu Hause lief viel Musik, obwohl beide Eltern keine Musiker waren. Meine Mutter war Schauspielerin. Ich wuchs in einem kreativen Haushalt auf!
Katja Leclerc:
Wann wurde klar, dass Du Musik zum Beruf machen würdest?
Leo McFall:
Als ich vierzehn Jahre alt war, war mir völlig klar, dass Musik ‚mein Ding‘ war. Aber es stand für mich erst später, etwa mit zwanzig, fest, dass ich mich auf das Dirigieren konzentrieren wollte. Jemand schenkte mir ein Ticket für Richard Wagners „Götterdämmerung“ am Royal Opera House, als ich etwas älter als zehn war. Bernard Haitink dirigierte. Er holte einen sehr besonderen, warmen, leidenschaftlichen Klang aus dem Orchester heraus – das war selbst für jemanden zu hören, der nicht viel Vergleich hatte. Das hat mich sehr beeindruckt, ich habe bis heute das Gefühl, dass ich diesen Klang im Ohr habe.
Katja Leclerc:
Erinnerst Du Dich an die ersten Musikstücke, die Dir wichtig waren?
Leo McFall:
Das erste Stück Musik, an das ich wirklich mein Herz verlor, war Schuberts Klaviertrio in B-Dur. Als ich fünf war, hatten wir eine Vinyl-Platte davon mit dem David Oistrakh-Trio.
Katja Leclerc:
Hast Du es selbst gespielt?
Leo McFall:
Leider nein. Vielleicht kommt das noch.
Katja Leclerc:
Was wünschst Du Dir für die Zukunft mit dem Hessischen Staatsorchester?
Leo McFall:
Ich hoffe, dass wir zusammenwachsen. Das Orchester besteht aus so vielen fantastischen Musiker*innen. Ich freue mich schon darauf, sie besser kennenzulernen. In der ersten Spielzeit werden wir eine große Bandbreite an Repertoire gemeinsam erarbeiten, von Haydns „Schöpfung“, entstanden Ende des 18. Jahrhunderts, bis zur Komponistin Charlotte Bray aus unserer Gegenwart und unserer neuen Composer in residence Dariya Maminova ... Die ein Jahr lang für und mit uns Musik neu denkt und Uraufführungen fürs Konzert und Musiktheater schreibt. Hunderte Jahre Musik!
Katja Leclerc:
Sieht so die Zukunft im Konzert aus: möglichst offen für Verschiedenes?
Leo McFall:
Ich würde sagen, ich bin sehr offen. Für unterschiedliche Einflüsse, für unterschiedliche Arten von Musik. Offenheit ist eine gute Ausgangslage.
Katja Leclerc:
Was ist Dir wichtig für das Gelingen eines Konzerts?
Leo McFall:
In der Arbeit mit dem Orchester ist die Probe die Basis. Manchmal muss man dort ganz trocken technische Anleitung geben, manchmal Bilder vermitteln oder sinnliche Vorstellungen. Manchmal ist es wichtig, wenig zu sprechen (Das ist immer wichtig!) und einfach die Musik durchzuspielen. Im Konzert ist meine Aufgabe dann simpel: Da sitzen alle – Musiker*innen und ich – in einem Boot; alle müssen dafür sorgen, dass es gutgeht! Proben ist wirklich komplex, denn
wir sind in drei Zeitzonen gleichzeitig: in der Gegenwart, weil das Orchester gerade Musik spielt, in der Vergangenheit, weil ich noch über Stellen nachdenke, die nicht gut liefen, und in der Zukunft, weil ich sie mit meinem Dirigat voraussehen muss. Im Konzert wird es leichter, denn es gibt nur noch Gegenwart und Zukunft – eine Zeitzone weniger!
Katja Leclerc:
Wie fühlt sich das an?
Leo McFall:
Ich fühle mich freier während der Aufführung.
Katja Leclerc:
Und während der Probe?
Leo McFall:
Ich denke, die ideale Probe ist wie eine Meereswelle, die sich ständig bewegt und entwickelt. Das ist sehr, sehr schwer zu erreichen, aber wenn es passiert, ist es wunderbar! Ich versuche imer, ein gutes Gleichgewicht zwischen zwei Polen zu finden: einerseits die Musiker*innen spielen zu lassen und andererseits sehr präzise und detailliert mit ihnen zu arbeiten. Ich suche eine Kombination aus Freiheit und Disziplin – wenn man in der Lage ist, diese beiden Dinge auszubalancieren, dann ist man auf dem besten Weg zu einem guten Konzert. Als ich Jahre nach der Aufführung der „Götterdämmerung“ als Assistent von Bernard Haitink gearbeitet habe, konnte ich sehen, wie er dieses Gleichgewicht auf bewundernswerte Weise austariert hat, immer wieder aufs Neue. Er ließ es sehr einfach aussehen, obwohl es in Wirklichkeit alles andere als einfach ist!
Katja Leclerc:
Wie kann das Publikum an diesem Glücksmoment der Balance teilhaben?
Leo McFall:
Dafür müssten sie zu jeder Probe kommen! Oder zu unserem Konzert „Mitten im Klang“ im November. In diesem für Wiesbaden neuen Konzertformat rücken wir das gemeinschaftliche Erlebnis ins Zentrum. Das Publikum kann mitten im Orchester Platz nehmen, zwischen den Streichern oder Bläsern, und so den Klang unmittelbar, wie eine physikalische Größe, erleben. Ich glaube fest an die Kraft der Musik. Und an die Stärke der Energie, die ein Orchester erzeugen kann: wenn achtzig Menschen gemeinsam atmen, durch Musik gemeinsam dieselbe Geschichte erzählen. Einzigartig!
Katja Leclerc:
Wie sehen Konzerte Deiner Meinung nach in der Zukunft aus?
Leo McFall:
Die Art, wie Musik verstanden wird, ändert sich mit den Zeiten. Ich vertraue jedoch darauf, dass es für eine bestimmte Anzahl Menschen immer anziehend sein wird, zusammenzukommen und Musik zu hören. Würde ich daran nicht glauben, wäre ich falsch in meinem Beruf. Ich bin sehr daran interessiert, jedes neue Format auszuprobieren, das die Menschen in Kontakt mit dem Wunder der Musik bringt. Wir sind hier, um die Musik mit den Menschen zu teilen. Dafür stehen Momente wie das Konzertfest, bei dem wir zum Saisonabschluss gemeinsam feiern können, und die neuen Kinderkonzerte im Großen Haus, aber auch Gesprächsformate wie der Orchestertalk, in dem man mehr über die Persönlichkeiten in unserem Staatsorchester erfährt.
Katja Leclerc:
Was treibt Dich an?
Leo McFall:
Ich liebe das Zitat von Sergej Rachmaninow: „Musik gibt es genug für ein ganzes Leben, aber ein Leben ist nicht genug für Musik.“ Ich erlebe selbst immer wieder, was Musik geben kann. Diese Tage liegt auf meinem Schreibtisch die
Partitur von Haydns „Schöpfung“: Diese Musik lässt mich fühlen, dass ich glücklich bin am Leben zu sein. Sie treibt mir Tränen in die Augen vor Glück, denn sie zelebriert das Gute im Menschen. Wenn man dazu Zugang hat – egal wie: ob man die Musik hört, ein Stück davon singt … – dann macht Leben mehr Sinn.